Das Geheimnis der alten Mamsell by Marlitt Eugenie

Das Geheimnis der alten Mamsell by Marlitt Eugenie

Autor:Marlitt, Eugenie
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: (Privatkopie)
veröffentlicht: 2010-02-03T00:00:00+00:00


Er hatte bei seiner letzten Frage einen jener durchdringenden, prüfenden Blicke auf ihr ruhen lassen, wie er sie wohl bei seinen verstocktesten Patienten anzuwenden pflegte; als aber ihr Gesichtsausdruck immer strahlender wurde, wandte er wie verletzt oder geärgert den Kopf weg. Er sagte kein Wort mehr. Zerstreut reichte er Aennchen die Hand, griff leicht grüßend an seinen Hut und ging langsam nach dem Hause zurück. –

An demselben Abende saß Rosa in der Gesindestube. Ein zartblauer, duftiger Stoff bauschte sich auf ihrem Schoße und ihre Finger handhabten die Nähnadel mit beinahe fieberhafter Geschwindigkeit. Friederike leistete ihr Gesellschaft. Das Kammermädchen sah sich genötigt, bis nach Mitternacht zu arbeiten, und da hatte die alte Köchin den vortrefflichen Einfall gehabt, einen »steifen« Kaffee zu kochen, »nur von wegen des Munterbleibens«.

Es hatte längst zehn geschlagen. Felicitas war in die Schlafkammer gegangen, um sich zur Ruhe zu begeben, aber das unaufhörliche Geplauder der nebenansitzenden Kaffeetrinkerinnen machte ihr den Aufenthalt in dem dumpfen, schwülen Raume unerträglich. Sie öffnete das Fenster weit, setzte sich auf den Sims, die gefalteten Hände um die Kniee legend und sah hinaus in den Hof. Er war nicht ganz dunkel. Auf den Vorsälen des ersten und zweiten Stockes brannten noch die Astrallampen. Durch die hohen Fenster fielen lange Lichtsäulen auf das Steinpflaster; sie streiften den silbern aufblitzenden Wasserstrahl des rauschenden Röhrenbrunnens, ließen in unheimlichen Ecken trübe Glasscheiben aufglühen und warfen schließlich noch einen falben Schein auf die ziemlich weit entfernte Fassade des Hinterhauses. Ueber das große Viereck der Gebäude aber spannte sich der flimmernde Nachthimmel. Unverändert, wie vor längst verrauschten Zeiten, sahen seine Sternbilder herein in den Hofraum, den die Sage mit haarsträubenden Gespenstergeschichten bevölkerte – sie hatten diejenigen, die jetzt als wehklagende Schemen hier angstvoll umherschweben sollten, in blühender Leibesgestalt gesehen, edle Ritter und stattliche Handelsherren, vornehme Damen in seidener Schleppe und die ehrbar im Leinenkleide einherschreitende bürgerliche Hausfrau; zu ihnen hatten Augen aufgeblickt, aus denen Weltlust glühend begehrlich sprühte, auch solche, die im aufgeblasenen Eigendünkel kalt und teilnahmlos an Gottes wundervollster Schöpfung vorüberstreiften, scheue Augen, hinter denen das Verbrechen lauerte, und in Thränen schwimmende, bang blickende Kinderaugen – der Glanz war verlöscht, sie alle moderten; aber die große Lehre der Natur, daß alles vergehen müsse, bleibt unbegriffen. Geschlecht nach Geschlecht that die Augen auf und schloß sie wieder, und was zwischen diesen zwei Momenten lag, das war Kampf und Ringen um ein Stück Erde, Titel und Würden, volle Kästen und Kleiderpracht gewesen. Und ein die Welt bewegender Zug im Menschencharakter, er trat auch hier hervor: die Herrschsucht, der unheimliche Trieb, andere Menschenkinder hinabzudrängen und ihnen den Fuß auf den Nacken zu stellen; und wo äußeres Ansehen und eigenes Geistesvermögen nicht ausreichte, da hüllte man sich in die Weihrauchswolke des Glaubens. – Nichts ist mehr verdreht und ausgebeutet worden im Interesse weltlicher Zwecke, als Gottes Wort, nie ist mehr gesündigt worden, als in Gottes Namen!

Während diese Gedanken hinter der Stirn des jungen Mädchens kreisten, wechselten drüben in der Gesindestube Friederikens blecherne Stimme und der schneidend hohe Sopran der Zofe unaufhörlich im Zwiegespräche.

»Ja,«



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